strap51.gif (7463 Byte) Ausgabe # 51

 

Yvan Alagbé "Gelbe Neger"

46-Seiten-Comic und Interview mit Yvan Alagbé

Mit grosser Aufmerksamkeit und nicht geringerer Begeisterung verfolgt STRAPAZIN seit Beginn der neunziger Jahre den Umbruch in der frankophonen Comic-Szene mit, den die unabhängigen Kleinverlage wie L'Association, Frigo und Amok ausgelöst haben. Deshalb ist es jetzt, wo sich ihre Comics-Alternative durchgesetzt zu haben scheint, an der Zeit, nach L'Association (STRAPAZIN n°37) und Frigo Productions (n°43) den dritten Verlag im Bund vorzustellen: Amok Editions aus Wissous, einem Vorort von Paris.

Seit vier Jahren überrascht und verwöhnt Amok unsere Augen mit ungewöhnlichen, anregenden und immer meisterhaft aufgemachten Bandes Dessinées. Olivier Marboeuf und Yvan Alagbé, zwei 27jährige Vorortspariser afrikanischer Abstammung, sind Macher von rühriger Umtriebigkeit. Beide sind Zeichner und Autoren, sie organisieren jahrelang die Pariser "Autarcic Comics"-Abende, ausgefallene Ein-Abend-Ausstellungen, an denen sich die Pariser Comic-Szene traf, zweimal jährlich erscheint ihr grossformatiges Magazin von geradezu luxuriöser Schönheit, "Le Cheval Sans Tête", und daneben publizieren sie in diversen Reihen Comic-Alben und andere Bücher.

Zum einen scharen Olivier und Yvan die grossen (nicht zuletzt aus STRAPAZIN bekannten) Namen der europäischen Avantgarde (von Muñoz und Mattotti bis zu Anke Feuchtenberger, M.S. Bastian und Martin tom Dieck) um sich, zum anderen aber erlauben sie uns und vor allem ihren französischen Leserinnen und Lesern immer wieder Entdeckungen. Sie gehörten zu den ersten, die über die Sprachgrenze hinaus nach interessanten Comics suchten und beispielsweise die portugiesische oder die deutschsprachige Szene präsentierten.

Die ästhetische Philosophie von Amok liegt irgendwo zwischen L'Association und Frigo Productions. Bei aller kritischen Abgrenzung hat erstere ihre Wurzeln doch in der frankobelgischen Bandes-Dessinées-Tradition, während jene sich eher über die bildende Kunst definiert. Als kompromisslose Individualisten, die mit eigenwilligen Bildern persönliche Geschichten erzählen, vervollständigen Yvan Alagbé, Olivier Marboeuf und ihre Autoren die Palette des unabhängigen Comic-Schaffens in Frankreich. Christian Gasser

 

Basil Wolverton

SPACEHAWK - Der übermenschliche Verbrechensbekämpfer

A Greater American Comic-Confusion

Haare hängen wie weichgekochte Spaghetti von der Pariserbrotnase. Weisse Schläuche kriechen aus Augenhöhlen, Pupillen an den Enden beäugen ein Heft, durch dessen Seiten der warzige Zinken wie ein Tortenmesser stösst. Blutiger Blumenkussmund schürzt und rundet sich, Megalith-Zähne blecken, im Nasenloch nistet ein Vogel und bewacht die Popel. Basil Wolverton beobachtet seine Mitmenschen. Wie unter LSD und durch eine flaschenbodendicke Brille. So kennt man heute den Zeichner vor allem, als - Selbsteinschätzung - "Producer of Preposterous Pictures of Peculiar People Who Prowl This Perplexing Planet".

Humor. Auf dem Weg zum berühmten MAD-Zeichner durchlebte Wolverton eine wahre Comic-Odyssee. Kaum ein anderer Comic-Schöpfer verkörperte so drastisch die spezifisch amerikanischen Schizophrenien: Kreativität, Konservativismus, Sektierertum, Sinn für Groteskes und Workaholicmentalität, woraus ein ebenso widersprüchliches wie innovatives Comic-Universum resultierte. Wolverton, der sich als Achtzehnjähriger, nach absolvierter High School, für eine Vaudeville- und Entertainer-Karriere entschied, tingelte und steppte ab 1927 die nördliche Westküste rauf und runter, sich selbst auf der Bariton-Ukulele zu Songs wie "My Father Takes Me Fishing 'Cause He Thinks I Have Worms" begleitend. Eine Art Tiny Tim der Roaring Twenties. Daneben betätigte er sich als Reporter und Journalist. Als der Tonfilm 1929 die Vaudeville-Kultur zu verdrängen begann, gab Basil Wolverton alle seine bisherigen Aktivitäten auf, um eine lebenslange Karriere als Cartoonist und Comiczeichner einzuschlagen. Kurz nach dem Debüt des ersten wirklichen Comic-Abenteuerhelden, Buck Rodgers, kreierte Wolverton seinen "Marco of Mars", den aber das zunächst daran interessierte Independent Syndicate of New York wieder zurückpfiff, als Buck Rodgers seinerseits sich anschickte, den Mars heimzusuchen ... (aus dem Artikel von Hans Keller)

 

Henning Wagenbreth

Berliner Figurationen

Roli Fischbacher über den Grafiker und
Illustrator Henning Wagenbreth

Zu sagen, dass die Plakatkunst im Argen liege, wäre wohl vermessen. Doch was uns Bildkonsumenten an Litfassäulen und Plakatwänden geboten wird, kann durchaus als buntgemischtes Einerlei bezeichnet werden. Dabei sind wir Schweizer und Schweizerinnen eher verwöhnt, was Qualität und Eigenart gestalteter Werbung im öffentlichen Raum betrifft. Das Plakat als Werbeträger hat Bestand. In Frankreich, Spanien oder Italien allerdings finden Jäger und Sammlerinnen visueller Ereignisse nur noch Schrott. Selbst die eindrücklich aggressiven Zirkusplakate an den Ausfallstrassen von Neapel, Perpignan oder La Coruña, voll von busenbeherrschter, raubtierunterstützter Exotik im Stil des naiven Machismo, sind verschwunden, gehören offenbar in eine andere Zeit. Viel Eigenart zeigt sich nicht mehr auf Werbeflächen. Gezeichnetes und Gemaltes, Handschrift eben, findet selten mehr auf Plakatwänden statt. Selbstverständlich gibt es sie aber noch, die wunderbaren AutorInnen-Plakate. Man findet sie in Katalogen von Grafik-Biennalen und -Triennalen, von Helsinki über Moskau bis Toyama in Japan. Zeichner und Zeichnerinnen aus Polen, aus Israel, aus Russland, aus den USA, aus Frankreich, aus allen Ecken und Enden der Welt werden ausgestellt und abgefeiert. Nur auf der Strasse sind sie nicht präsent. Dort ödet uns die Fotoästhetik von Hugo Boss bis Calvin Klein an, die gleichen Bilder von New York bis Niederbipp. Dabei ginge es auch anders, denn das Potential interessanter Künstler-Innen ist vorhanden. Einer davon ist Henning Wagenbreth, der Gestalter des aktuellen STRAPAZIN-Covers.

Vom Theater zum Krimi zum Theater Auf die Arbeiten des deutschen Grafikers und Illustrators Henning Wagenbreth bin ich zwar nicht in den Strassen der Grossstädte gestossen, sondern im Krimiregal meiner Buchhandlung. Rotbuch-Krimis haben wunderschöne Covers. Und ansprechende Umschläge können schon mal Einfluss auf das Kaufverhalten haben, auch auf meines. Vor Henning Wagenbreth und anderen prägten alleine Hendrik Dorgathens Titelillustrationen das Erscheinungsbild der Krimireihe. Beide Gestalter zeichnen sich durch eine eigene unverwechselbare Handschrift aus, stehen sich aber, was Reduktion und Bildverständnis angeht, sehr nahe. Dorgathens grafische Umsetzungen sind Geschichte, Wagenbreths Schab- und Zeichenkunst erfreut noch heute das Auge auf neuen Titeln der Krimibuchreihe. Am Comic-Salon 1994 in Erlangen wurde ich ein weiteres Mal auf die Arbeiten Wagenbreths aufmerksam. Dort hatte die PGH 'Glühende Zukunft' ihren Auftritt. Die Gestaltergruppe mit Anke Feuchtenberger, Detlef Beck, Holger Fickelscherer und Henning Wagenbreth wurde von der Berliner Galerie am Chamissoplatz präsentiert, mit ostdeuschem Etikett selbstverständlich, obwohl die Mauer damals bereits nicht mehr existierte. Natürlich hatte die Produktionsgenossenschaft des Handwerk mit den glühenden Perspektiven ihren Anfang tatsächlich am Ende des sozialisierenden Realismus genommen, doch bekundete ich damals einige Mühe mit deutsch-deutscher Gestalterbefindlichkeit; hatte jedoch Freude an regionalen handwerklichen Qualitäten. Die ostdeutsche, oder sogar osteuropäische Illustrationskultur schien prägend für den Werdegang der Genossenschaftlerinnen. Der Kunsthochschule Weissensee und osteuropäischer Drucktechnologie sei Dank. Die Ausstellung war eine Offenbarung! Insbesondere die Plakate von Anke Feuchtenberger und Henning Wagenbreth redeten in einer Sprache, die eher selten zu hören ist. Illustration nicht als Beigemüse, sondern als Hauptgang. Gezeichnetes, Gekratztes und Gemaltes verstand sich als Grafik. Das ist nicht neu, aber in dieser Dichte und Qualität immer aufregend ...